Gerecht ist nicht gleich – haarsträubender Artikel in der FAZ.Net
Gestern habe ich einen Artikel in der FAZ.Net gelesen, bei dem ich mich wirklich beherrschen musste, nicht gleich einen Leserkommentar zu schreiben. Ich habe schon lange nichts mehr gelesen, wo so willkürlich, unprofessionel und teilweise schlicht falsch, Theorien und Erkenntnisse aus Bildungsforschung, Bildungspolitik und Philosophie, zusammengewürfelt wurden um damit zu begründen, dass alles gut ist wie es ist 🙁
Heute habe ich eine Antwort geschrieben – allerdings ging das beim besten Willen nicht in den erlaubten 1250 Zeichen – und da es ein dreiteiliger Kommentar wurde, bin ich nicht sicher, ob er überhaupt veröffentlicht wird.
Deshalb hier für Euch einfach meine Antwort zu dem Artikel, den ihr oben verlinkt findet:
Hallo Frau Schmoll,
ihr Artikel enthält durchaus interessante Fragestellungen und Theorien. Aber was Sie hier zusammengewürfelt haben, bitte entschuldigen Sie die Formulierung, würde sicher auch dem zitierten Aristoteles, würde er denn noch unter uns weilen, die Haare zu Berge stehen lassen!
Sie merken „kritisch“ an, dass beim Streit um mehr Bildungsgerechtigkeit „nicht selten sozialpolitisches und bildungspolitisches Handeln vermischt werden“ – und schon hier fehlt der weiteren Auseinandersetzung jedes Fundament. Wie bitte schön soll denn etwas verbessert werden, wenn nicht sozial- und bildungspolitisch? Es gibt doch inzwischen ausreichend empirisch belegtes Material über den Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft – ich kann Ihnen bei Interesse da gerne etwas empfehlen …
Dann kommen Sie zu dem Zirkelschluß, dass Schule Allgemeinbildung nicht allein leisten könne, die Verantwortung bei jedem Einzelnen läge und mündige Individuen das Ziel seien. Interessant: Um Verantwortung wahrnehmen zu können, die für den Erwerb von Bildung nötig ist, muss man mündig sein was wiederum das Ziel der Bildung in den Schulen ist – was genau wollen dem Leser denn damit sagen?
Es sei berechtigt, Bildungsgerechtigkeit zu thematisieren – aber es würden falsche Schlußfolgerungen gezogen indem MAN VON BEGABUNGSUNTERSCHIEDEN AUF SOZIALE UNTERSCHIEDE SCHLIESSEN WÜRDE ??? Und von Ungleichheit auf Benachteiligung? Wo bitte haben Sie das denn her? Klingt ja fast schon ein bißchen wie Dawkins, aber das möchte ich nun doch nicht unterstellen …
Wichtigste Aufgabe des Bildungssystems sei „die Benachteiligten dazu zu ermutigen Ihre Chance zu ergreifen“ … Hallo? Wenn sie so offensichtlich benachteiligt werden, welche Chance?? Und wie schaut es mit der Aufgabe aus, Benachteiligungen zu beseitigen? Aber darauf kommen Sie ja dann auch noch: „Gerechtigkeit sei zu einem Schutzschild gegen Erfahrung und Tradition geworden“ – klar, die Erfahrung, dass es sich bewährt einen Großteil der Menschen klein zu halten und die Tradition Bildungsprivilegien gut zu schützen, die würden unter Gerechtigkeit leiden.
Für wirkliche Gerechtigkeit muss ein gesundes Gleichgewicht gefunden werden, zwischen der Ermöglichung von Individualität und der Ermöglichung gleicher Chancen. Liebau und Zirfas formulieren das in der Einleitung zu „Ungerechtigkeit der Bildung – Bildung der Ungerechtigkeit“ sehr deutlich: „Individualität individuell zu fördern und somit Ungleiches ungleich zu behandeln, aber auch allen Menschen gleiche Bildungschancen … eröffnen und somit Gleiches gleich zu behandeln“.
Falls Sie das damit aussagen wollten, ist Ihnen das leider nicht gelungen.
27 Kommentare
Sabine
Und der Fairness halber möchte ich ergänzen, dass mein Leserbrief entgegen meiner Vermutung doch in voller Länge, also als Dreiteiler, unter dem Artikel veröffentlicht wurde: http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E93D4B61D4322421796A7E99DA4C0CD9E~ATpl~Ekom~SKom~Ak~E.html
– Danke FAZ 😉
Karen
Sabine,
mir erging es genau anders: Endlich war eine wohltuend andere Blickrichtung aus dem Gebrülle von „Bildungs-Ungerechtigkeit“, „Bildungskatastrophe“, „Bildungsmisere“ zu vernehmen.
Es ist leicht, nach Bildungsalimentierung zu schreien, die der anonyme Herr Steuerzahler gefälligst zu finanzieren hat. Wenn allerdings kaum noch Begabungspotentiale vorhanden und 40 % Akademiker, davon ein Großteil nur mittelmäßig begabt, in einer Volkswirtschaft nicht notwendig sind, dann ist das unnütz verschwendetes Geld.
Als Einstieg in den Themenkomplex empfehle ich Ihnen einen frischen Artikel, der auch als Ergänzung zu jenem der Frau Schmoll gedacht ist:
netzwerkrecherche.wordpress.com Artikel : Begabungsforderung
Sabine
Hallo Karen,
danke für den Kommentar – ich werde am WE noch ausführlich darauf eingehen.
Vorab wüßte ich aber gerne: Wie kommen sie darauf, dass kaum noch Begabungspotentiale vorhanden seinen und unsere Volkswirtschaft
a) keine 40% Akadamiker brauchen könnte und
b) ein Großteil davon nur mittelmäßig begabt sein würden?
Gerne werde ich den von Ihnen empfohlen Artikel lesen 😉 – auch wenn er mir, als fast fertige Bildungswissenschaftlerin und selber mit dem Thema Hochbegabung Befasste, vermutlich eher nicht als „Einstieg in den Themenkomplex“ dienen wird 🙂
Wie gesagt, am WE mehr dazu 🙂
Karen
Hallo Sabine,
es ist doch schon so, daß, wer heute studieren will und halbwegs brauchbare Leistungen vorweist, auch studieren kann. Die seit Jahrzehnten geringer werdenden Leistungsanforderungen an Univiersitäten und die hohen Zahlen an Studienabbrechern zeigen aber auch, daß das Angebot von zu vielen genutzt wird, die ungeeignet sind – auf Kosten der Geeigneten und auf Kosten der Steuerzahler.
Prinzipiell ist eine gute Bildung für Jedermann immer gut, aber fachspezifische Ausbildungen, die wegen eines Unterangebotes auf dem Arbeitsmarkt nie genutzt werden können, oder teure Qualifizierungsversuche bei Unqualifizierten sind überflüssig: „Wir dürfen nie vergessen, daß wir um eines gesunden öffentlichen und kulturellen Lebens willen dankbar sein müssen dafür, gute Begabung und tapfere Charaktere mit und ohne schulische Ausbildung in allen Lebensbereichen anzutreffen, als unerläßliches Ferment eines freien Gemeinwesens.“
Roma
Hallo Sabine,
über den moodle-Link bin ich zu dem Artikel und deinem Kommentar gekommen. Ich muss jedoch auch sagen, dass ich den Artikel anders aufgefasst habe als du. Gleichwohl denke ich, dass manche Formulierungen der Autorin missverständlich aufzufassen sind (z.B. bzgl. der Mündigkeit). Auch wenn ich unbedingt an die Eigenmündigkeit glaube, ab wann soll/kann sie beginnen? Ich bin aber auch der Auffassung, dass es diesen „Bildungsdruck“ auf Menschen mit unterschiedlicher Begabung gibt. Ich glaube wirklich, dass nicht jeder geeignet ist Abitur und Studium zu absolvieren (und das aus unterschiedlichen Gründen, nicht nur aufgrund der Intelligenz). Natürlich sehe ich es auch so, dass „Begabte“ in allen Schichten zu finden sind und alle die Möglichkeit auf die Entfaltung ihrer Talente haben sollen. Ich denke aber auch, dass es sich dabei (leider) um eine Utopie handelt. Denn Begabung hat auch viel mit Förderung zu tun. Und die kann unmöglich Kindergarten und Schule alleine leisten. Wenn das soziale Umfeld (und das ist in jungen Jahren nun mal die Familie) dies nicht unterstützt, dann ist es sehr schwierig. Aber wie kann man Familien die dies nicht einsehen (oder einsehen können) dazu bringen? Mit Zwang? Ich glaube das der gesamten Bildungspolitik ein gesellschaftliches Problem zu Grunde liegt, dass viel zu wenig thematisiert und einbezogen wird.
Aus diesem Grunde finde ich eine Plattform wie diese ein sehr gutes Instrument und würde mir wünschen, dass sich noch viel mehr Menschen mit diesen Themen befassen.
Viele Grüße,
Roma
Sabine
@Karen: War jetzt leider keine Antwort auf meine Frage sondern nur erneute Behauptungen…?
@Roma: Ich glaube nicht, dass ich das mißverstanden habe – FAZ und der link gehen in eine ganz eindeutige und schlicht falsche Richtung – aber morgen in Ruhe dazu mehr – begründeter und fundierter. Heute bin ich zu müde – habe den ganzen Tag gespeedreaded 🙂
Roma
Hallo Sabine,
ich habe auch nicht angedeutet, dass du ihn missverstanden haben könntest, sondern dass ich manche Formulierungen missverständlich finde.
Wer legt übrigens fest ob die Richtung richtig oder falsch ist? Hier geht es doch erst mal um kontroverse Meinungen, oder?
Ich bin aber sehr gespannt auf deine neuen Ausführungen.
@Karen: deinen Ausführungen kann ich in ihrer Radikalität nicht folgen und mir fehlen da auch konkrete Belege.
Viele Grüße,
Roma
Sabine
Hallo Roma,
o.k. 🙂 Korrektur: Ich glaube nicht, dass an den Äußerungen etwas mißverständlich ausgedrückt war – ich empfinde sie als sehr eindeutig.
die Frage kann ich Dir kurz beantworten: Falsch ist, wenn Bildungsungerechtigkeit (und dafür gibt es genügend fundierte und empirisch belegte Nachweise) durch solche Artikel in den Köpfen der Menschen fundamentiert wird, was nur wenigen nützt und vielen schadet – denn das ist dann keine Demokratie mehr. Richtig ist, wenn daran etwas geändert wird.
Und die Belege fehlen Karen, wie ich oben schon erwähnte, ganz offensichtlich auch 🙂
Bis morgen!
Sabine
Hallo Karen,
nur kurz, ich habe gestern die Seite auf die Sie verlinked haben kurz überflogen und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die dort veröffentlichten Inhalte nicht verlinken möchte – ich habe daher den obigen Link entfernt, wer den Artikel dennoch lesen möchte, findet ihn auch mit den jetzigen Angaben noch.
Ob ich noch näher auf den Artikel eingehen werde oder nur auf Romas Argumente und den FAZ Artikel eingehe bin ich mir noch nicht schlüssig – ich werde auf alle Fälle die Diskussion an sich noch weiterführen, heute oder morgen.
Roma
Hallo Sabine,
tut mir leid, aber ich kann dir nicht zustimmen. Ich finde nicht, dass der Artikel Bildungsungerechtigkeit zementiert. Und damit stehen wir beide mit kontroversen Auffassungen da – und da bringt eine Bewertung (richtig oder falsch) erst mal kein Licht in das Dunkel. Und auch hierfür fehlen mir die Beweise.
„Falsch ist, wenn Bildungsungerechtigkeit (und dafür gibt es genügend fundierte und empirisch belegte Nachweise“)
Viele Grüße & ich bin gespannt,
Roma
Sabine
Liebe Roma, liebe Leser,
zuerst eine abschließende Anmerkung zu Karens Kommentar. Da ich Donnerstag und Freitag auf einem ganztägigen Seminar war, bin ich erst gestern dazu gekommen, den von Karen verlinkten Artikel näher zu lesen. Es handelt sich hier eindeutig um ausgesprochen populistische und durch nichts belegte Hetzen gegen soziale und bildungspolitische Maßnahmen für mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. Auch die dort genannte „Schülerzeitung“ bewegt sich nach Google-Recherche sehr am rechten Rand der Meinungsmache – ich möchte mich von diesen Seiten und Artikeln ausdrücklich distanzieren – das ist 100ig konträr zur Intention dieser Community.
Nun zu Romas Anmerkungen bzw. Fragen.
Roma, es geht hier nicht um Rechthaben und gute Argumente –auch nicht um Auffassungen, sondern um Fakten. Sehr viele dieser „»Beweise« werden Dir im Laufe der nächsten Semester »zwangsläufig« begegnen 🙂 . Allerdings ist es in den Geisteswissenschaften auch Fakt, dass es keine »Beweise« gibt – deshalb wird hier auch nicht von bewiesenen Hypothesen geredet sondern von bewährten. Als bewährt gelten sie, solange sie nicht widerlegt werden können. In den Naturwissenschaften kann man Hypothesen mit Experimenten häufig verifizieren, das geht bei uns eben nicht.
Zum Artikel in der FAZ und dem »Festzementieren«:
Die Autorin sagt ganz klar, dass von «Begabungsunterschieden auf soziale Unterschiede geschlossen würde und von Ungleichheit auf Benachteiligung». Und das ist schlichtweg falsch (wissenschaftlich: es ist falsifiziert, weil es eindeutig in Studien widerlegt wurde)
Empirisch belegte Aussagen zu Bildungschancen findest Du zum Beispiel auf dem Deutschen Bildungsserver, beim DIE und in vielen Studien (PISA ist wohl die bekannteste, aber bei weitem nicht die einzige).
Ein paar Fakten daraus:
70% der Kinder, deren Vater Abitur hat, bekommen nach der vierten Klasse eine Gymnasialempfehlung, aber nur 17 % der Kinder unterer sozialer Herkunftsgruppen und zwar selbst dann, wenn sie in den Aufnahmeprüfungen sehr gute Ergebnisse haben. Die erste Gruppe bekommt die Empfehlung mit guter Chance selbst bei schlechten Testergebnissen.
Aus der ersten Gruppe wiederum erreichen dann 84% die Oberstufe und studieren später 72%. Aus der zweiten Gruppe sind es dann grade mal 8% die studieren.
Und nach dem Studium haben immer noch die Kinder der ersteren Gruppe eine wesentlich höhere Chance, in Führungsetagen aufzusteigen, als Kinder der zweiten Gruppe mit gleichen Studienleistungen.
Die erste Gruppe erwächst aus einer Schicht, die einen Bevölkerungsanteil von ca. 20 Prozent hat.
Fazit im Zusammenhang mit dem FAZ Artikel:
Hier wird unterstellt, dass die Auslese in »Wahrheit» aufgrund von Begabungsunterschieden stattfindet und daraus dann auf soziale Ungerechtigkeit geschlossen würde. Niemand wird heute mehr ernsthaft daran glauben, dass es in 80 Prozent der Bevölkerung größtenteils nur weniger begabte und weniger intelligente Kinder als in den anderen 20% gibt.
Aber das »Begabungsmärchen«, wo dann auch gerne geistige Entwicklungsmöglichkeiten auf Gene reduziert und soziale Einflüsse darauf negiert werden, wird immer wieder gerne eingesetzt um Änderungen an diesem System zu verhindern – denn mehr Chancengerechtigkeit heißt natürlich ganz klar auch weniger Chancen (durch mehr Konkurrenz) für die 20 Prozent, die es bisher ziemlich leicht haben.
Und deshalb zementieren solche Artikel Bildungsungerechtigkeit. Auch dieses Thema wird dir unter Umständen im Modul 3E wieder begegnen, falls Du Dich dort mit Diskursanalyse und den enormen Möglichkeiten, Meinungen medial zu steuern, beschäftigst.
Wenn Du Literatur suchst, ohne nach Studien recherchieren zu wollen empfehle ich Dir von Hradil »Soziale Ungleichheit in Deutschland«, von Geißler »Die Sozialstruktur Deutschlands«, von Liebau und Zirfas »Ungerechtigkeit der Bildung – Bildung der Ungerechtigkeit« und von Becker/Lauterbach »Bildung als Privileg«. Etwas weniger wissenschaftlich, aber trotzdem gut recherchiert, ist von Preisendöfer: »Das Bildungsprivileg«.
Sabine
P.S. – und grade noch gefunden, sehr passend zu dem oben ausgeführten:
Zeitartikel zum Schulübergang: http://www.zeit.de/2010/06/C-Uebergang
Roma
Hallo Sabine,
vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Der verlinkte Artikel von Karen hat bei mir ähnlich Reaktionen ausgelöst wie bei dir. Den FAZ-Artikel fasse ich aber trotz allem noch anders auf als du. Ich lese daraus nicht, dass die Autorin die Chancenungerechtigkeit bestreitet. Danke für die Literaturangaben – da lese ich bestimmt nach.
Viele Grüße,
Roma
Sabine
Eben in Twitter entdeckt – ein Artikel der gut zum Thema passt und zeigt, wie es selbst denen geht, die es erfolgreich bis zum Ende eines Studiums geschafft haben: http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/15/502251/text/7/
Neve
Hallo Bine!
Uiuiui… Dem angehende Naturwissenschafler in mir stellen sich die Haare: „In den Naturwissenschaften kann man Hypothesen mit Experimenten häufig verifizieren, das geht bei uns eben nicht. “ Nein, auch in den Naturwissenschaften werden Hypothesen lediglich falsifiziert. Verifizieren geht insofern nicht, da die Naturwissenschaften auf nomothetische Aussagen zielen. Das Verifizieren einer Hypothese würde implizieren dass man feststellt, sie sei in Gegenwart, Vergangenheit & Zukunft beständig, und genau das geht eben nicht. Aber das ist Wissenschaftstheorie vom FEINSTEN 😉
Zum Thema Bildungswissenschaft möchte ich erst noch drüber nachdenken. Ich finde im FAZ-Artikel gibt es ab und zu mal gut angefangene Argumente, die wohl nicht ganz zu Ende gedacht wurden… Ein Kartenhaus…? Erstmal drüber schlafen! Bis dann!
Sabine
Liebe Neve,
danke für die Korrektur 🙂 – dann ist man inzwischen in den Naturwissenschaften also auch weiter 🙂 … ursprünglich stammte ja schon viel Kritik an den Geisteswissenschaften aus der Richtung, dass man hier eben – im Gegensatz zu den Naturwissenschaften – nichts beweisen könne.
Dass man heute mehr weiß und das auch zur Erkenntnis führt, wie wenig man dennoch weiß – das finde ich interessant, das wußte Sokrates auch schon 🙂
Bin gespannt auf Deine neuen Gedanken zum Artikel, ich habe dort wirklich kein gutes Argument gefunden. Wobei Du auch schreibst, »gut angefangen« und ich ja auch letztlich die kruden Rückschlüsse kritisiere, die hier in wirklich falschen Rückschlüssen gezogen werden.
Bin gespannt, was das Überschlafen Dir gebracht hat – bis dann!
Karen
Hallo Sabine,
mein erster Absatz des zweiten Kommentars war die Antwort auf alle drei Fragen.
„ich werde am WE noch ausführlich darauf eingehen“
Bisher lese ich hier leider noch keine Argumente, dafür sozialromantische Polemik und die Behauptung, es würde sich bei den Auszügen der wissenschaftlichen Erkenntnisse um „Hetze“ handeln, vor der andere Menschen bewahrt werden müßten:
„Es handelt sich hier eindeutig um ausgesprochen populistische und durch nichts belegte Hetzen gegen soziale und bildungspolitische Maßnahmen für mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. … ich habe daher den obigen Link entfernt“
Der Erziehungswissenschaftler Theodor Ballauff war ab Oktober 1946 an der Universität Köln zunächst Assistent, später Privatdozent und ab 1952 außerordentlicher Professor. 1947 hatte er einen Lehrauftrag an der Universität Bonn. Hubert Hettwer beschäftigte sich in mehreren Veröffentlichungen mit der Schulpolitik in totalitären Systemen. Sie beide haben den Stand der Forschung des Jahres 1967 und aus ihrer Sicht wichtige Forschungsergebnisse vieler Wissenschaftler ohne ideologische Scheuklappen zusammengetragen.
„Niemand wird heute mehr ernsthaft daran glauben, dass es in 80 Prozent der Bevölkerung größtenteils nur weniger begabte und weniger intelligente Kinder als in den anderen 20% gibt.“
Gegenbeweis? Oder ist diese Behauptung eines angeblichen Glaubenswechsels – meinethalben auch Paradigmenwechsels – eher religiös ispiriert?
Nun ist mir Ihr akademischer Grad ebenso unbekannt wie es Ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema sind, welche die Aussagen eines ganzen Dutzend bekannter Pädagogen, Psychologen und Soziologen wissenschaftlich widerlegen oder als „Hetze“ disqualifizieren. Ich warte immer noch auf Ihre Argumente, da ich ansonsten annehmen müßte, daß Ihre Intention eher ideologischer Natur ist.
MfG
Karen
Entschuldigung, zu Ballaufs Biographie ist noch etwas verloren gegangen:
„1955 wurde Ballauff außerordentlicher Professor für Philosophie und Pädagogik an der Universität Mainz, 1956 ordentlicher Professor für Pädagogik. 1979 erfolgte seine Emeritierung.“
Sabine
Hallo Karen,
dann zitiere ich Ihren ersten Absatz nochmal:
„es ist doch schon so, daß, wer heute studieren will und halbwegs brauchbare Leistungen vorweist, auch studieren kann. Die seit Jahrzehnten geringer werdenden Leistungsanforderungen an Univiersitäten und die hohen Zahlen an Studienabbrechern zeigen aber auch, daß das Angebot von zu vielen genutzt wird, die ungeeignet sind – auf Kosten der Geeigneten und auf Kosten der Steuerzahler.“
Wenn Sie das für eine Antwort auf meine Fragen halten… ok…
Es mag auch gut sein, dass vor 40 Jahren, Anfang der 70er Jahre, Wissenschaftler auf die sie sich berufen den „Stand der Forschung des Jahres 1967 und aus ihrer Sicht wichtige Forschungsergebnisse …zusammengetragen“ haben.
Ich habe in meinem Beitrag nicht auf eigene wissenschaftliche Erkenntnisse verwiesen, sondern eindeutige Fakten aus der aktuellen empirischen Forschung, sowie deren Quellen, genannt.
Ihre persönlichen Annahmen darüber und Ihr Glaube an 80% unbegabte Bevölkerung, die es sich nicht zu fördern lohnt, bleiben Ihnen natürlich unbelassen …
Neve
Hallo liebe BiWi-Bine!
Genau das meinte ich… gut angefangen aber dann abgeka*** 🙂
Vielleicht wollte die Autorin des FAZ-Artikels einfach den Unterschied zwischen Gleichberechtigung & Gleichmacherei betonen. Ist ihr aber nicht so ganz gelungen… *grübel*
Gleichberechtigung JA: Alle sollen dieselben Grundvoraussetzungen mitgegeben bekommen. Da nun jeder Mensch anders ist, werden sich auch die Kinder anders entwickeln, selbst wenn sie gleiche Grundvoraussetzungen haben. Individualentwicklung funktioniert ja nicht jenseits des sozialen, kulturellen Umfeldes! Anschließend wäre es wohl angebracht, dass das Bildungssystem jeden dort „abholt“ wo er gerade steht, das gefördert wird, was jeder am besten kann, usw. Eine etwas utopische Vorstellung, leider!
Gleichmacherei NEIN: Da wird nur Potential verschwendet. Wie schon John Watson sagte: „Gebt mir ein Dutzend […] Kinder und meine eigene Umwelt, in der ich sie erziehe, und ich garantiere, dass ich [… ] es zu einem Spezialisten in irgendeinem Beruf erziehe […]“ (Watson, 1930, zitiert aus 03400/M1). Ich bin kein Fan des klassischen Behaviorismus; das Zitat sei trotzdem mal am Rande erwähnt, um auszudrücken, dass grundsätzlich jeder Mensch der geistig gesund ist, von Geburt an das gleiche Potential hat wie jeder andere!
Was ich herausstellen möchte ist, dass jeder seine Stärken und Schwächen hat. Bildung kann nur dann als stabile Grundlage für den Wohlstand einer Gesellschaft dienen, wenn die Bildungsqualität (für alle) grundsätzlich gut ist. Zudem müssen nicht nur denjenigen adäquate Bildungsmöglichkeiten zugänglich gemacht werden die es sich ohnehin schon leisten können, sondern auch denjenigen die das Potential haben, das beste daraus zu machen, es sich aber finanziell oder zeitlich (z.B. wegen Familie, Pflege von Angehörigen, etc.) nicht leisten können.
Und Trotzdem: Das Problem fängt m.E. nicht erst im Schulalter an, sondern schon vorher: Bildung & Arbeit ist nicht mehr attraktiv, nicht „in“; in vielen Familien wissen die Eltern noch nicht mal richtig was sie mit einfachen Mitteln tun können, um die geistige Entwicklung ihrer Kinder zu fördern.
Vielleicht kenne ich mich aber da noch zu wenig aus…
Sabine
Liebe Neve,
da hast Du recht, sofern das die Intention war (was ich nicht glaube 🙂 ) ist das nicht gelungen.
Und genau wie Du bin auch ich nicht der Meinung, dass alle „gleich“ sein müssen. Es muss auch nicht jeder Abitur haben oder studieren – aber jeder muss die Chance dazu haben und das ist definitiv nicht der Fall.
Das Problem, das Du ja auch ansprichst, liegt genau da begründet wo Du sagst, dass »Individualentwicklung nicht jenseits des sozialen kulturellen Umfeldes« funktioniert.
Wenn daraus aber dann geschlossen wird, dass die Benachteiligten weniger begabt seien und es in diesen Schichten kein Potential gäbe, dann geht das in eine gefährliche Richtung – die natürlich von denjenigen, denen das einen Vorteil bringt, auch genutzt wird. Nun haben aber genau diejenigen auch wesentlich mehr Möglichkeiten und Einfluss, dafür zu sorgen, dass sich wenig daran ändert …
Ein Teufelskreis, der m. E. nur wirklich sinnvoll dadurch unterbrochen werden kann, indem an zwei Baustellen gearbeitet wird. Einmal an der frühkindlichen Bildung, denn wie Du schreibst, das Problem fängt nicht erst im Schulalter an.
Zweite Baustelle ist die Familie – und da bin ich der festen Überzeugung, dass ein gar nicht so kleiner Anteil dieser »Bildungsfernen« durchaus willens und intellektuell auch fähig dazu wäre, einen Schulabschluss und/oder ein Studium nachzuholen. Dazu fehlt es aber derzeit sowohl an Fördermöglichkeiten als auch an Beratung und gesellschaftlicher Akzeptanz.
Durch Aufbau dieses Bereiches würde man das Problem an der Wurzel anpacken und nicht Institutionen die alleinige Verantwortung dafür zuschieben, aus kleine »Bifs« (wie in Preisendörfers »das Bildungsprivileg« die sogenannten Bildungsfernen bezeichnet werden) Bildungsnahe zu machen.
Denn was leider nicht berücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass Kinder, die in den Schulen entgegen ihrer bisherigen Sozialisation »erzogen« werden, sonst zwischen zwei Möglichkeiten zerrieben werden: Entweder sie ändern sich und entwickeln eine andere Sicht auf Bildung, was bedeutet, dass sie sich von ihren Familien und Freunden, bei denen das nicht passiert, entfremden, oder sie verweigern sich und landen in der Schublade »unbegabt«.
Du hast recht, dass solche Vorstellungen »utopisch« sind – aber ohne solche Utopien im Kopf wird sich auch in der Realität nichts ändern. Und ändern kann man alles – aber Voraussetzung ist das Bewußtsein über die Notwendigkeit und das Vertrauen in den Sinn einer Änderung. Und das bekommt man wodurch? Bildung 🙂
Karen
Hallo Sabine,
1. die Begabungspotentiale sind offensichtlich weitgehend ausgeschöpft, denn wer will, der kann ein Studienfach seiner Wahl studieren. Dazu muß er nicht besonders reich und auch nicht besonders klug sein. Das war vor etwa 100 Jahren, als Milieubindungen noch viel fester waren, oder gar vor 200 Jahren, als es noch eine Ständegesellschaft gab, anders.
a.) … das Unterangebot auf dem Arbeitsmarkt (von einigen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtungen abgesehen).
b.) Qualifizierungsversuche bei Unqualifizierten, wie die hohen Studienabbrecherzahlen belegen. Offensichtlich haben wir auch trotz der Verhundertfachung der Studentenzahlen gegenüber der Zeit vor 200 Jahren nicht eine entsprechende Verhundertfachung von Genies, die einem Goethe, Hegel, Leibnitz, Kant … entsprechen.
Wenn Sie nun mit dem Argument sozialer Ungerechtigkeit kommen, welche etwa die potentiellen Genies aus dem HartzIV-Milieu unterdrücken, so muß ich Ihnen mitteilen, daß mir in Mitteleuropa noch kein Student begegnet ist, der hungern oder frieren mußte. Auch das war früher durchaus anders.
Vergleicht man Qualität und Quantität von Universitäten und Studenten etwa der Jahre 1925 und 2005, so ist zwar die Quantität gestiegen, aber die Qualität gesunken. Universitätsstudenten gelangen heute oft in Tätigkeitsfelder, in den früher die Fachschulausbildung ausreichte, Fachhochschüler in Arbeitsbereiche, in welchen die Berufsschule genügte. Die Universitäten sind vollgestopft mit Personen, die rudimentäre Defizite auf naturwissenschaftlichem oder sprachlichem Gebiet aufweisen.
„Es mag auch gut sein, dass vor 40 Jahren, Anfang der 70er Jahre, Wissenschaftler auf die sie sich berufen den “Stand der Forschung des Jahres 1967 und aus ihrer Sicht wichtige Forschungsergebnisse …zusammengetragen” haben.“
Leider kann ich aufgrund Ihrer Rechtschreibung die inhaltliche Stoßrichtung Ihres Textes nur erahnen. Sie erwidern nicht argumentativ auf die Äußerungen der Wissenschaftler, welche Sie aber dafür als als „Hetze“ disqualifizieren, und rezitieren auch nicht Ihre eigenen Quellen (wenigstens sinngemäß). Die Art und Weise, wissenschaftliche Publikationen je nach persönlichem Gusto und herrschendem Paradigma mal als „wissenschaftlich“ einzustufen, mal als „pseudowissenschaftlich“ (oder gar „hetzerisch“) zu verwerfen, ist eine höchst ideologische, vor allem, wenn man über den Inhalt zu disputieren weder willens noch imstande ist, sondern lieber den Link abschaltet.
„Ihre persönlichen Annahmen darüber und Ihr Glaube an 80% unbegabte Bevölkerung, die es sich nicht zu fördern lohnt, bleiben Ihnen natürlich unbelassen …“
Ich habe nie behauptet, daß ich „an 80% unbegabte Bevölkerung, die es sich nicht zu fördern lohnt“ glaube. Wo steht das? Ich habe nur den Gegenbeweis gefordert, denn Glauben genügt mir nicht, auch wenn angeblich „niemand heute mehr ernsthaft daran glaubt“. (Personaler zumindest blicken auch heute noch bei jungen Arbeitssuchenden auf das Milieu, wie „Beruf der Eltern“).
Zunächst einmal sollte man im Text „Begabungsförderung“ zwischen der zitierten Meinung der Wissenschaftler („Er widerspricht ebenfalls der…“, „Im Gegenteil sei…“) und den daraus folgenden subjektiven Bewertungen unterscheiden, zweites finde ich nirgendwo die Äußerung „daß 80% unbegabte Bevölkerung nicht zu fördern“ lohne, selbst bei böswilliger Interpretation nicht. So habe ich bereits in einem vorhergehenden Artikel zur Elitediskussion resümiert:
„Ballauff und Hettwer drängen daher auf Begabungsförderung, nicht auf Begabtenauslese. Das schlösse nicht aus, daß die ,sehr Begabten’ dieselbe Förderung erfahren wie die ,weniger Begabten’, allerdings in dem jeweilig passenden Rahmen. Dem wäre mit einem differenzierten Aufbau des Bildungswesens Rechnung zu tragen.“
Von meiner Seite aus sehe ich die Diskussion als beendet an, da mir die Zeit für umfassende Erwiderungen auf Unterstellungen angesichts der offensichtlichen Oberflächlichkeit bzw. des Nichterfassenwollens textlicher Zusammenhänge zu kostbar ist.
MfG
Sabine
»Von meiner Seite aus sehe ich die Diskussion als beendet an«
Ja, hier stimme ich mit Ihnen überein.
mihei
Ich will hier jetzt keinen bildungswissenschaftlichen Beitrag schreiben, dazu bin ich auch gar nicht befähigt. Ich will nur versuchen die Diskussion sachlich aus Sicht des „gesunden Menschenverstandes“ zu beleuchten.
Für mich ist diese Diskussion bezeichnend für die politische Diskussion zum Thema Bildung. PISA hat in Deutschland die Diskussion ins breite Licht der Öffentlichkeit getragen und seitdem wird nahezu panisch versucht Lösungen zu finden.
Die skandinavischen Länder werden zu den Heilsbringern der Bildung gekürt und einige wollen tatsächlich die erfolgreichen Konzepte übertragen. Eine Diffusion ist in diesen Fällen allerdings nicht so leicht möglich. Man muss eben nicht nur das Bildungssystem isoliert betrachten sondern auch alle anderen relevanten Faktoren wie z.B. die Größe des Landes, den politischen Aufbau (z.B. Föderalismus oder Zentralstaat), den Anteil von Migranten und vieles mehr. Des Weiteren sehe ich im Aufbau der PISA Studie einige methodisch bedenkliche Punkte (wie z.B. die Wahl der untersuchten Jahrgangsgruppen ohne zu berücksichtigen welche Schulsysteme dahinter stehen. Soll heißen wann wird eingeschult, gibt es eine Vorschule, gibt es richtigen Ganztagsunterricht usw.) Fakt ist, PISA hätte bei einem anderen Untersuchungsaufbau diametrale Ergebnisse hervorbringen können. Aber ich schweife hier ab.
Den FAZ Artikel hab ich persönlich auch nicht so schlimm empfunden und bin da bei Roma.
Das Kernthema ist die „Bildungsungerechtigkeit“. Gerechtigkeit ist ein ganz gefährlicher Begriff der auch ganz unterschiedlich verwendet wird. Für mich liegt Gerechtigkeit im Auge des Betrachters. Eine objektive Gerechtigkeit ist mir nicht bekannt. Daher bevorzuge ich den Begriff Chancengleichheit. Aber auch hier, wie bei der Gerechtigkeit, wird dies oft mit Gleichmacherei verwechselt.
Wenn wir ganz ehrlich sind, dann gibt es bei der Bildung keine Chancengleichheit und es wird sie auch nie geben. Lassen wir die „Schichtenthese“ einmal außen vor. Jedes Kind ist ein Individuum. Alle haben unterschiedliche Fähigkeiten und Charaktere. Alleine deshalb haben sie zwar theoretisch alle die Chance ihr Abitur zu machen und zu studieren aber praktisch sieht es nicht so aus. Nimmt man hierzu noch die soziale Herkunft, so kann sie diese individuellen Faktoren verstärken, ergänzen, abschwächen oder gar nicht beeinflussen.
Lange Rede kurzer Sinn. Unser Bildungssystem hat offensichtliche Schwächen. Eine Gleichmacherei ist ebenso falsch wie die Vernachlässigung der weniger Privilegierten die eben mit geringeren Chancen starten. Die Lösung ist teuer und aufwendig, aber nur mit einer individuellen Förderung, die auf die jeweiligen Stärken und Schwächen eingeht kann man annährend eine Chancengleichheit erreichen.
Gruß Micha
Sabine
Hallo Micha,
vielen Dank für den Kommentar.
Tja, mit dem »gesunden Menschenverstand« ist das so eine Sache :-).
Der wird leider von Medien und den am Erhalt des bestehenden Systems Interessierten dazu benutzt, Dinge schön zu reden und genau die Einstellung zu erreichen, die sich ausdrückt, wenn Du schreibst: »…es wird sie auch nie geben«.
Und das finde ich so gefährlich daran. Wenn Du Dich später (Du bist auch ein Biwi oder?) mit Diskursanalyse beschäftigst und evt. auch mit Bourdieu, wird Dein Blick auf solche Artikel sich vermutlich verändern.
Bourdieu hat dazu einen sehr interessanten Ansatz, der erklärt, wieso derartig verpackte Aussagen dann »… so häufig als akzeptabel und sogar natürlich erscheinen können …« und bemerkt ».. oftmals kommt es daher sogar zu einer Komplizienschaft selbst der Leidtragenden der gesellschaftlichen Strukturen mit diesen Machtstrukturen«
Und die »Schichtenthese« kann man leider nicht außen vor lassen, wenn man sich ernsthaft mit der Thematik Chancengleichheit in der Bildung beschäftigen möchte. Dass individuelle Eigenschaften viel weniger von Begabung, als eben vom sozialen Umfeld abhängen, ist mittlerweile ausreichend belegt. Die Reihenfolge ist also genau umgekehrt: Angeborene Anlagen verstärken oder schwächen die Möglichkeiten, die in einem idealen Umfeld gegeben wären.
Gerechtigkeit hat nichts mit Gleichmacherei zu tun – gerecht ist, wenn Individualität gefördert wird (Ungleiches ungleich behandelt wird) und gleiche Chancen für alle gelten (Gleiches gleich behandelt wird) – und das ist ohne den sozialen Aspekt nicht zu leisten.
LG Sabine
mihei
Ich bin ein Powi und kenne die Politik praktisch als auch theoretisch. Man kann auch sagen ein Pessimist, was ein Optimist mit Erfahrung ist 😉
Das mit den wissenschaftlichen Belegen ist so eine Sache. Es gibt auch Studien, die belegen, dass die individuelle Entwicklung zwar vom sozialen Umfeld beeinflusst wird, dass aber ein guter Teil auch „genetisch veranlagt“ ist. Gute Belege hierfür sind Zwillinge, die früh getrennt wurden in unterschiedlichen sozialen Umfeldern aufwuchsen und sich dennoch nahezu gleich entwickelt haben.
Ich bleibe dabei, Chancengleichheit kann und wird es nie geben. Man kann sicher die Rahmenbedingungen so gestalten, dass man sich der Gleichheit annähert, aber es wird immer individuelle Unterschiede und somit bessere oder auch schlechtere Chancen geben.
Sabine
Hallo Micha,
🙂 – Pessimismus sei dir unbenommen :-), mir der Optimusmus aber auch :-, denn „Für den Optimisten ist das Leben kein Problem, sondern bereits die Lösung.“ (Marcel Pagnol)
Natürlich ist das soziale Umfeld nicht alles und natürlich spielt auch genetische Veranlagung eine Rolle. Und wie hoch jetzt welcher Anteil ist, ist nicht eindeutig erforscht. Dennoch gehen neuere Erkenntnisse, grade auch aus der Epigenetik, immer mehr in die Richtung, dass die Gene eine viel kleinere Rolle spielen, als lange angenommen. Auch hierzu gibt es viele Erkenntnisse aus der Zwillingsforschung 🙂
Dass es Chancengleichheit nicht geben könne – da wiederspreche ich! Ob es sie geben wird? Das wird davon abhängen, wie stark sich in Bezug auf unser Bildungssystem eine kleine Gruppe weiterhin gegenüber einer viel größeren durchsetzen wird – und das hängt wieder von Bildung ab – da beißt sich die Katze in den Schwanz. Aber ich trotzdem überzeugt, dass sich da einiges ändern wird – es braucht Zeit, es braucht viel Engagement und Arbeit – aber es ist möglich.
Und individuelle Unterschiede sprechen meiner Überzeugung nach überhaupt nicht gegen Chancengleichheit – im Gegenteil, erst wenn die Chancen gleich sind, kann sich Individualität wirklich entwickeln. Ohne Chancengleichheit bleibt die Individualität eines großen Teils der Bevölkerung auf der Strecke – bleibt Potential das keine Chance hat sich zu entwickeln.