Förderung

Bildungspolitik für Chancengleichheit?

Lüge 1 klSeit langem habe ich mich über politische Aussage zu den Plänen für künftige Bildungspolitik nicht mehr so geärgert, wie bei den Aussagen von Guido Westerwelle zu seinen Gerechtigkeitsvorstellungen.


 

Er meint also, weil er nach der Realschule das Gymnasium besucht hat, sei ja wohl zur Chancengleichheit alles gesagt, seht her, es geht doch ….

Dann schließt er messerscharf, dass „Einheitsschulen“ bedeuten, dass am Ende eine „Einheitsnote“ rauskommt für die keine Anstrengung und kein Fleiss nötig ist. Statt dieser Gleichmacherei solle doch Chancengleichheit zu Beginn herrschen. Gegen Chancengleichheit am Beginn der Schullaufbahn wäre ja nichts zu sagen. Wie er die aber herstellen will, bleibt nebulös.

Denn das Geld, das er statt für Abwrackprämien (die ich auch falsch finde) dann in Bildung stecken möchte, geht ja von Haus aus schon mal an die, die es schon bis zum Studium geschafft haben. Was bitte hat das mit Chancengleichheit zu Anfang der Schulkarriere zu tun???

Und dann: Stipendien für »10 Prozent der besten Studenten«, woraus in einem Kommentar zum Video jemand schloss, das „10 Prozent der Studenten“ gefördert würden – so soll das wohl auch bei Otto Normalverbraucher landen. Aber 10 Prozent der besten Studenten ist nicht gleich 10 Prozent aller Studenten – was schon wenig genug wäre. 10 Prozent der besten Studenten mit einem Stipendium unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zu fördern heisst doch nichts anderes, als hier wieder verstärkt diejenigen zu entlasten, die es vermutlich in den meisten Fällen gar nicht nötig hätten.

Fakt ist doch, dass nach wie vor »Jugendliche aus dem oberen ökonomischen, sozialen und kulturellen Viertel der Gesellschaft bei gleichen Fähigkeiten eine ungefähr sechsmal !! so hohe Chance haben ein Gymnasium zu besuchen, wie Jugendliche aus dem dritten Viertel« (vgl. Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands, S. 292).

Und der Teil, der es trotzdem schafft, hat immer noch die schlechteren Ausgangsbedingungen für ein Studium. Meist ein bildungsferneres Elternhaus, was bedeutet dass sowohl finanzielle Möglichkeiten der Lernunterstützung als auch kulturelles Kapital in weit geringerem Maß zur Verfügung stehen, als für diejenigen mit der sowieso schon sechsmal so hohen Chance.

Wieviele dieser kleinen Gruppe, die so auf das Gymnasium gelangen, wird sich wohl acht bis neun Jahre später unter den »10 Prozent der besten Studierenden« befinden, welche Herr Westerwelle dann so großzügig »unabhängig vom Geldbeutel der Eltern« fördern möchte???

Was er wirklich sagt ist doch: »Diejenigen, die (wiedermal) am meisten davon profitieren würden, werden mich schon verstehen. Und bei den anderen hoffe ich mal drauf, dass sie so dumm sind, wie ich sie einschätze. Denn dann glauben sie, dass ich hier für Leistungskriterien und Chancengleichheit eintrete. Und dass sich das nicht ändert, dafür sorgt dann mein Programm, das nämlich gerade nicht Chancengleichheit fördert, sondern noch weiter ausgrenzt und diejenigen von den Universitäten fernhält, die wir dort nicht haben wollen.«

3 Kommentare

  • raquel

    hihi…

    nett interpretiert…

    Ich muss sagen hier in der Schweiz hat sich einiges getan.Es gibt z.B Passerelle, dh,man kann sich in einen Jahr den Zugang zur Uni erwerben,wenn man eine Berufsmatur hat. Berufsmatur kann man schon während der dualen Ausbildung erwerben, nachträglich berufsbegleitend oder in Jahreskursen.
    Es gibt auch Fachhochschulen, die Bachelorabschlüsse anbieten und Interessierte sur dossier aufnehmen,dh. nach Lebenslauf und persönlichem Gespräch. Auch an der Fernuni kann man inzwischen ohne abitur studieren.

    ich finde diese Art von Öffnung sinnvoller,als möglichst viele Schüler zum Abitur bzw. Matura zu bringen. Jedenfalls meine Erfahrung mit dem Gymnasium war eher negativ, viel zu theoretisch, zu viele Inhalte, die nur noch ästetischen Wert haben oder zu weltfremd vermittelt wurden, zu wenig koordiniert, als dass Lernen in Zusammenhängen oder nur schon das erkennen von Zusammenhängen gefördert worden wäre, im grossen und ganzen eine Zeitverschwendung.
    (deshalb studiere ich jetzt auch Bildungswissenschaften,damit ich dies nach dem Abschluss mal laut sagen darf ;-).

    Damit es Sinn macht, dass mehr Menschen das Abitur machen,müsste dieses erst gründlich reformiert werden.
    Ich bin eher für eine Öffnung in die Richtung von „jeder darf studieren,wenn er mithalten kann“.
    Allerdings sollten in Deutschland wohl die Grundschulen geöffnet werden. In Der Schweiz ist dies schon sehr weitgehend der Fall, hier gibt es inzwischen schon immer mehr Schulen die die Oberstufe nur noch nach Leistungsklassen aufteilen.Bei uns im Nachbardorf läuft ein anscheinendes Experiment zum selbstgesteuerten Lernen an einer öffentlichen Schule.

    Ich kenne die Zustände in Deutschland zu wenig, aber wenn es heisst werde zu wenig für Bildung ausgegeben, frage ich mich manchmal ob nicht eher die Ressourchen falsch eingesetzt werden und zuviel in Organisation und Verwaltung, endlose Disskussionen und Foren investiert wird (wo wieder die Oberschicht profitiert und haupstächlich heisse Luft produziert) als in Bildung selber? (ist nur so ein Verdacht..)

    Dabei fällt mir noch ein,dass nach der Krise einer gemeint hat, Politik sollte nach dem Opensourceprinzip organisiet werden.

    Nun, Bildung auch. Und der grosse Vorteil daran ist: wir haben dank Internet umfassenden Zugang zu den nötigen Ressourchen.
    Lehrpläne, Prüfungsanforderungen und Reglemente können abgerufen werden. Es gibt Probeprüfungen, Foren, Lernberichte, Lernprogramme. Also brauchen wir das nur noch zu organisieren…

    Aber es bleibt ein grosses Problem, wenn die staatliche Schule die Menschen fürs Lernen verdirbt. Da aber immer weniger Industriearbeiter benötigt werden, sind die Politiker wohl auch in Deutschland bald gezwungen umzudenken und aufzuwachen.

    In der Schweiz sind wir damit wohl schon weiter, weil es hier nie so viel Industrie gab. Wir können es uns nicht leisten,den Menschen Bildung zu verwehren,denn womit sollen wir denn die „Ungebildeten“ beschäftigen???

  • Stefan

    Hallo Sabine!

    Ich möchte deine Aussagen nicht so stehenlassen, denn ich sehe das etwas anders. 🙂

    Leider gibt es hier keine Vorschaufunktion und somit weiß ich nicht, ob ich HTML verwenden kann. Ich werde deine Text also mit Anführungszeichen versehen… Ich hoffe, dass man das nachher alles noch gut lesen kann.

    „Statt dieser Gleichmacherei solle doch Chancengleichheit zu Beginn herrschen. Gegen Chancengleichheit am Beginn der Schullaufbahn wäre ja nichts zu sagen. Wie er die aber herstellen will, bleibt nebulös.“

    Chancengleichheit zu Beginn durch kostenlose frühkindliche Bildung: http://www.fdp-fraktion.de/files/723/Fruehkindliche_Bildung.pdf Ein wichtiger Punkt ist hier der Sprachtest im 3. bis 4. Lebensjahr, welcher Mängel frühzeit aufdeckt und ein Gegensteuern ermöglicht.

    „10 Prozent der besten Studenten mit einem Stipendium unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zu fördern heisst doch nichts anderes, als hier wieder verstärkt diejenigen zu entlasten, die es vermutlich in den meisten Fällen gar nicht nötig hätten.“

    Wie kommst du auf diese Aussage? Meinst du wirklich, dass die besten 10% der Kinder alle vermögende Eltern haben? Ein guter Freund von stammt aus ärmlichen Verhältnissen (Vater ist früh gestorben und hat einen Betrieb hinterlassen, der nach seinem Tod relativ schnell in die Insolvenz ging), hat aber erst seine Ausbildung und danach sein Studium als Bester abgeschlossen. Und bei den Fernstudenten sieht man oft, dass Studenten aus weniger gut betuchten Elternhäusern wesentlich schneller und besser studieren als andere, grade weil sie diese Chance nutzen wollen.

    „Fakt ist doch, dass nach wie vor »Jugendliche aus dem oberen ökonomischen, sozialen und kulturellen Viertel der Gesellschaft bei gleichen Fähigkeiten eine ungefähr sechsmal !! so hohe Chance haben ein Gymnasium zu besuchen, wie Jugendliche aus dem dritten Viertel«“

    Genau aus diesem Grund muss man doch Programme auflegen, die etwas an dieser Situation ändern. Und das geht nicht, indem man mit der Gießkannen-Taktik gleichmäßig die Mittel verteilt, sondern indem man sie zielgerichtet (hier: die besten 10%) einsetzt. Menschen sind sehr verschieden in ihren Stärken und Fähigkeiten und ihrem Willen sich diese einzusetzen. Sie alle über einen Kamm zu scheren würde keinem helfen. Wir brauchen in Deutschland eine gezielte Förderung der Eliten (im Sinne von besten Köpfen).

    Ich würde mich freuen deine Meinung dazu zu hören.

    Gruß
    Stefan

  • Sabine

    Hallo Stefan,

    vielen Dank für Deinen Kommentar – und unterschiedliche Ansichten sind ja die Würze einer Diskussion :-).

    Gerne schreibe ich meine Meinung dazu:

    »Chancengleichheit zu Beginn durch kostenlose frühkindliche Bildung:…Sprachtest im 3. bis 4. Lebensjahr, welcher Mängel frühzeit aufdeckt und ein Gegensteuern ermöglicht. «

    Frühkindliche Bildung halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Sie kann frühzeitig helfen Defizite aufzudecken.
    Ein Problem an dem sie aber auch nichts ändert ist, dass bei der Übergangsempfehlung die tatsächliche Kompetenz der Kindern nur eine – sogar eher untergeordnete – Rolle spielt und damit Kompetenzförderung im frühkindlichen Alter wenig an der Chancengleichheit auf Bildung ändern wird.

    »das geht nicht, indem man mit der Gießkannen-Taktik gleichmäßig die Mittel verteilt, sondern indem man sie zielgerichtet (hier: die besten 10%) einsetzt«
    Hier werden reife Äpfel mit unreifen Birnen multipliziert :-). Ich bin auch nicht dafür, dass leistungsunabhängig alles und jeder zwangsgefördert wird. ABER: Bei der Auswahl von Studenten für Förderung ist es für Chancengleichheit schon viel zu spät!!! Ausgefiltert wird im dreigliedrigen Schulsystem beim Übergang in die „höhere“ Schule. Und da gehört auf Fälle Gießkannenprinzip hin! Denn in dem Alter kann niemand voraussagen, welches dieser Kindern die Fähigkeit entwickeln wird, sich motiviert und interessiert irgendwann für ein Studium zu entscheiden. Nur wenn sie ALLE hier die Gelegenheit haben möglichst viel auszuprobieren, gefördert und motiviert werden und lernen miteinander zu lernen – dann hat jeder eine Chance darauf, wirklich Potentiale zu entwickeln. Denn mit denen wird man nicht geboren.

    Und wie ich in meinem Artikel ja schon schrieb: Diese Stipendien treffen dann nur die, welche die gröbsten Hürden schon bewältigt haben. Und unter denen haben die sozial schlechter Gestellten schon von Haus aus eine viel geringere Chance überhaupt dabei zu sein, geschweige denn bei den besten zehn.

    Und entschuldige 🙂 auch wenn Dein Freund aus ärmlichen Verhältnissen das geschafft hat und Guido Westerwelle auch nach der Realschule noch „ein Gymnasium besuchen durfte“ – das zeigt doch nicht, dass deswegen Chancengleichheit herrscht … ! Ich habe es auch auf noch ungewöhnlicherem Weg geschafft und stamme auch nicht aus einer Akademikerfamilie. Aber ich weiß, dass das eine Ausnahme ist und nicht die Regel.

    Und da Herr Westerwelle ja „aufs Gymnasium durfte“ (und auch studiert hat?) weiß er das nun ganz sicher auch.

    Zu Eliten habe ich auch einen Artikel geschrieben, der Dir zeigt, dass ich absolut kein Freund von Gleichmacherei oder Feind von Förderung von Leistung bin (http://www.sieseco.de/2009/08/29/elite-und-bildung/) – aber ich dagegen, diese Eliten von vorn herein durch gezielte Barrieren klein zu halten und den Zugang latent zu verhindern – und genau das wird meiner Ansicht nach mit einer solchen »Förderung« getan.

    Und wenn man das vertritt, jeder darf da ja anderer Ansicht sein, dann soll man bitte schön dazu stehen und dem ganzen nicht noch das Mäntelchen der Förderung von Chancengleichheit umhängen und die Menschen für blöd verkaufen.

    Gruß Sabine

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