Erfahrungsbericht: Seminar: Besser Lesen mit System
Am Donnerstag und Freitag hat er nun stattgefunden, der von mir mit Spannung erwartete Kurs von improved reading, den ich auch Euch zu verdanken habe 😉 – denn aufgrund dieser Community wurde mir angeboten, den Kurs zu testen, da er für diese Gruppe von Interesse sei.
Ein wenig skeptisch war ich zunächst. Nicht gegenüber der Sache an sich, denn ich hatte mich während meines Fernabiturs schon relativ ausgiebig und erfolgreich mit „Schnelllesetechniken“ beschäftigt und wußte, dass ich hier bereits um einiges über dem Durchschnitt „untrainierter“ Leser liege. Gerade deshalb aber war ich skeptisch, ob der Kurs auch für geübte Leser, die sich anhand von Büchern zum Thema schon mit Techniken befaßt haben, noch eine Steigerung von Schnelligkeit und Auffassung bringen kann. Und er konnte – das schon vorneweg: Ich bin positiv überrascht und meine Erwartungen wurden übertroffen.
Vorab möchte ich gleich betonen, dass es hier nicht darum geht, alles möglichst schnell zu lesen – im Gegenteil. Gerade die Fähigkeit zwischen Techniken und Tempi variieren zu können ist Voraussetzung um eben nicht (nur) „schneller“ sondern „besser“ oder auch »erwachsenengerecht«
Hintergrund ist, dass unser Gehirn über das Auge wesentlich mehr fassen kann, als wir ihm beim langsamen Lesen anbieten. Der Durchschnittleser liest 200 Wörter pro Minute, während das Gehirn aber problemlos ca. 800 bis 1000 verkraften könnte.
Es ist also beim Langsamlesen nicht ausgelastet – Grund dafür, dass wir dann viel leichter abschweifen und uns nebenher noch mit anderen Dingen beschäftigen.
Das heißt nichts anderes als: Langsam lesen = weniger Konzentration = weniger behalten.
Los ging es damit, den persönlichen „Ist-Zustand“ zu ermitteln. Man bekam ein Buch (Roman) und sollte eine bestimmte Zeit lang im „normalen“ Tempo lesen und die Stelle markieren bis zu welcher man kam. Jeder bekam dann seine aktuelle Zahl genannt (Wörter die pro Minute gelesen wurden). Den zweiten Einstieg bildete ein weiterer Text, hier wurden nun nicht nur die „wpm“ (words per minute) ermittelt, sondern anschließend 10 Fragen zum Text gestellt.
Die Prozentzahl der richtigen Antworten ergab dann die „err“ (effective Reading Rate) – die Zahl auf die es letztlich ankommt, denn schneller lesen und weniger verstehen würde wenig Sinn machen :
Im weiteren Verlauf des Seminars wurde dann mit verschiedenen Techniken und anhand verschiedenster Texte trainiert.
Schnelligkeit wurde mit Hilfe eines „Rate Controller“ erreicht, ein Gerät, das man über die zu lesende Seite legt, wo dann eine Art Lineal an den Zeilen entlang gleitet und den schon gelesenen (oder auch nicht : ) Text abdeckt.
Sinn ist, Rücksprünge des Auges während des Lesens zu verhindern – neben „Mitsprechen“ und zu häufigem „Anhalten“ der Augen beim Lesen – eine der drei Gründe warum wir langsamer lesen als wir könnten.
Mit Augenübungen wurde geübt die Blickspanne zu erweitern und nicht mehr „Wort für Wort“ sondern in „Sinngruppen“ zu lesen.
Zwischendurch immer wieder Texte mit Kontrollfragen und Lesen oberhalb der Komfortzone mit dem Rate Controller.
Auch auf unterschiedliche Lesetechniken für wissenschaftliche Texte und Zeitungstexte sowie Bildschirmlesen wurde eingegangen.
Zum Abschluß liest man noch mal in dem Roman, der das Seminar eröffnete – wieder so, wie man „normal“ lesen würde und bekommt erneut die wpm genannt. Alle Ergebnisse der Text- und Augenübungen wurden während des Seminars auf einem Auswertungsbogen erfaßt.
Anschließend an das Seminar wird dann jeder Teilnehmer noch per Post eine persönliche Auswertung erhalten, außerdem noch über einige Monate hinweg eine „Nachbetreuung“ per e-mail mit Erinnerungen und Tipps.
Als „langfristige Hausaufgabe“ gab es den Rat, jeden Tag 15 Minuten lang zu trainieren = über dem Wohlfühltempo zu lesen und sich bei weiterem Lesen auf eine der neuen Techniken zu konzentrieren.
Entsprechend waren die zwei Seminartage wirklich Arbeit und es wurde ganz klar gemacht, dass hier nicht auf Knopfdruck ein anderes Leseverhalten adaptiert wird, sondern nur das Werkzeug zur Verfügung gestellt werden und ein Einblick gegeben werden kann, was alles möglich ist: Wenn man dran bleibt, weiter trainiert und die Techniken dadurch automatisiert werden. Denn erst dann wird es wirklich „etwas bringen“.
Ergebnis für mich persönlich war, dass ich mein als gemütlich empfundenes Romanlesetempo von 495 wmp auf 927 wmp gesteigert hatte – ohne dass es mir so vorkam, als würde ich anders lesen …
Bei den Kontrolltexten habe ich meine wpm von durchschnittlich ca. 400-500 wpm am ersten Tag auf 700-900 am zweiten Tag verbessert und die Effectiv Reading Rate von zunächst 300 auf 700-900.
Mein persönliches Fazit ist, dass das Training in so einem Seminar doch noch etwas ganz anderes ist, als sich die Techniken „nur“ aus Büchern anzueignen.
Erstens hat nicht jeder die Motivation und das Durchhaltevermögen, ein Verhalten, das jahrelang geübt und sozialisiert wurde, autodidaktisch umzutrainieren.
Diese Motivation und der erste Kick bis hin zum nachweislichen ersten Erfolgserlebnis wird im Seminar geliefert und somit das weitere Trainieren erleichtert oder erst ermöglicht.
Und zweitens hat es in diesem Fall auch mich, einen überzeugten Fan von autodidaktischem und selbstorganisierten Lernen, vom Sinn des blended Learning überzeugt – ein Gefühl das bisher nur ganz wenige Seminare bei mir ausgelöst haben :.
Natürlich sind die oben genannten Zahlen davon abhängig, wie anspruchsvoll ein Text ist, wie die Vorkenntnisse zum Thema sind, die Tagesform, die Motivation und das Interesse etc.
Aber es kam ganz klar heraus, dass es mit den richtigen Techniken und Training wirklich möglich ist, eine enorme Effizienzsteigerung zu erreichen, was angesichts der steigenden Informationsflut für Studium und Lesen im Beruf ein enormer Vorteil ist.
Und nicht verhindert, gute Bücher genüßlich zu lesen – ganz im Gegenteil: Man hat dafür jetzt mehr Zeit :
6 Kommentare
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Markus Jung
Hallo Sabine,
vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht. Ich hätte auch die Möglichkeit gehabt, an dem Kurs teilzunehmen, allerdings sind bei mir zwei Tage Arbeitsausfall schon recht heftig. Umso besser, hier bei Dir davon zu lesen 🙂 Wie waren denn so die Eindrücke der anderen Teilnehmer? Gab es auch welche, die nicht zufrieden waren? Wie groß war eigentlich die Gruppe und in was für Räumlichkeiten hat das Seminar stattgefunden?
Viele Grüße
Markus
Sabine
Hallo Markus,
wir waren zu zwölft – ich und 11 Zivis 🙂
Die »Jungs« waren zum überwiegenden Teil auch sehr angetan und soweit ich das mitbekam haben sich die allermeisten auch richtig gesteigert in den zwei Tagen. Zwei waren dabei, die eher Motivations- und Konzentrationsprobleme hatten, was aber eher nicht am Seminar lag 🙂
Das ganze hat in Oberschleißheim stattgefunden, mit der S-BAhn gute 20 Minuten außerhalb Münchens in einem Seminarzentrum. Es waren schöne helle Räume, es gab Kaffee in allen Varianten, kalte Getränke und kleine Snacks und eine große Mittagspause (Std.) und immer wieder mal kleine Unterbrechungen (5 Min, 15 Min.) – alles in allem wirklich sehr angenehm und gut organisiert.
Viele Grüße
Sabine
Markus Jung
Vielen Dank für diese ergänzenden Infos. Hört sich alles sehr positiv an.
Viele Grüße
Markus
Peter Hamann
Hallo Sabine,
Deinen ausführlichen Artikel fand ich sehr hilfreich..
Durch eine Anfrage zum Thema ‚Lesetechniken und Verbessern des eigenen Lesetempos‘ in Moodle und einige Antworten dazu bin ich auf Deine Site aufmerksam geworden. Ich studiere selbst Psychologie in Teilzeit. Die Aussagen auf der Site von „Improved Reading“ fand ich ja schon sehr einleuchtend, aber durch Deinen Bericht habe ich begonnen, mich konkret mit dem Thema zu beschäftigen. Habe mir auch schon das Buch besorgt und arbeite das gerade durch.
„Improved Reading“ bietet ja auch Kurse an Universitäten an, was mich zu der Frage führt: warum eigentlich nicht auch an der FernUni Hagen, wo doch Lesen DIE Schlüsseltätigkeit eines Fernstudenten ist?
Ausgehend von der Annahme, dass ein beträchtlicher Teil der Studis in näherer Umgebung von Hagen wohnt, sagen wir Großraum Rurgebiet (ich selbst wohne in Herdecke, 15 Autominuten von der FeU entfernt), könnte man vielleicht (Wochenend-?)Kurse an der Fernuni organisieren.
Dazu bräuchte man:
1. die Bereitschaft von „Improved Reading“ für solche Kurse
2. die Bereitschaft der FeU, Räume zur Verfügung zu stellen
3. Interessenten aus dem Kreis der FeU-Studenten.
Ich wollte meine Idee einfach mal hier als erstes vorstellen.
Parallel könnte ich eine entsprechende Anfrage in unserem ‚Studierendencafé B. Sc. Psychologie‘ starten, oder an einer anderern (strategisch besseren) Stelle in Moodle.
Zum Punkt 1 kann ich schon so viel sagen: habe das heute bei „Improved Reading“ nachgefragt und generelles Interesse signalisiert bekommen.
Mich würde natürlich interessieren, was andere davon halten.
Vielleicht lässt sich hier ein erster Gedankenaustausch starten.
Viele Grüße
Peter
Eva
Hallo Sabine,
hatte ja lange Probleme auf diese Seite zu gelangen. Jetzt funktioniert es wieder und ich lese mich hier gerade durch …
Der Artikel ist interessant, der Vorschlag von Peter auch – wobei ich gerade auf der Seite war und es gibt ja durchaus auch Kurse im Ruhrgebiet, so dass man gut auch daran teilnehmen kann.
Allerdings find ich ja die Aussage, dass Zivis und Wehrdienstleistende die Kurse kostenlos bekommen (direkt auf der Startseite beworben) schon wieder recht frauenfeindlich, da i. d. R. diese Zielgruppe eher männlich besetzt ist.
Bei genauerem Hinschauen erkennt man dann auch Ermäßigungen für Studenten. Allerdings find ich die Kursgebühren mit ermäßigten 360 Euro immer noch recht hoch für einen normalen Studenten angesichts der Tatsache von Studiengebühren oder bei uns die Fernunigebühren.
Dein Erfahrungsbericht lässt aber durchblicken, dass es sich lohnen könnte.